27.02.10
Bei Dunkelheit und ungemütlichem Wetter stehen wir mit unseren prall gefüllten Rucksäcken um Punkt 4 Uhr morgens vor dem Dojo. Zur Stärkung gibt es vor der 1. Einheit kleine Reisbälle eingerollt in japanischen Noriblättern und dazu Tee oder Kaffee. Dies ist der angenehme Teil.Von nun an zieht Maik, ein guter Freund aus meiner Zeit bei den Fallschirmjägern, andere Seiten auf. Maik ist immer noch bei den Fallschirmjägern, Kampfsportler und erfahrener Personenschützer. Er sorgt mit seinen über 100 Kilo Kampfgewicht, einem Vollbart und einem bestimmenden Befehlston gleich für den nötigen Respekt. Wie er erzählt, ist der Vollbart notwendig, um für seinen Bundeswehreinsatz in Afghanistan, den er am 2.3.10 antritt, in der Bevölkerung respektiert zu werden.
Die erste Herausforderung stellt ein 2m hohes Eisentor der Schule dar, über das wir nacheinander klettern. Tutti, der als erster meinen besonders schweren Rucksack tragen „darf“, kippt nach der Landung auf der anderen Seite des Tores, vom Gewicht nach unten gezogen, nach hinten um. Mein Rucksack ist wohl mit seinen 20kg mit Abstand der schwerste und eine der Aufgaben besteht darin, sich in der Gruppe mit dieser Last abzuwechseln. Der Weg führt schnurstracks auf die Leinewiesen zu. In der Dunkelheit lässt sich schemenhaft erahnen, was uns erwartet.
Bei meinem fast fünfstündigen Erkundungsmarsch zwei Wochen zuvor bot sich mir noch eine atemberaubende Winterlandschaft. Nun werde ich an Siggis und meinen Fahrradurlaub zur Mecklenburgischen Seenplatte erinnert: nach ca. 10 Minuten Marsch vom Dojo stehen wir das erste Mal bis zu den Knien im Wasser und suchen eine geeignete Stelle, einen Stacheldrahtzaun der Kuhweide zu überqueren. Die Laune steigt, nachdem Klaus erzählt, wie er gestern noch das Loch in seinem Halbschuh zugeklebt hat. Die Reparatur war erfolgreich: das Wasser kann die nächsten 2 Stunden und 50 Minuten nicht mehr heraus laufen.
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Nach unzähligen Wasserdurchquerungen und Umwegen über durchgeweichte Äcker trinken wir bei einer kurzen Rast einen Schluck Wasser. Während Maik und ich den Weg weiter erkunden, erholt sich unsere kleine Gruppe bei der Kata Sanchin mitten auf einer Weide. Weiter geht’s durch Gestrüpp über die nächsten Felder und Bäche bis zu einem kleinen Tümpel an dem wir einen weiteren Stopp, diesmal zur Meditation, einlegen.
Nun marschieren wir in zügigem Tempo immer noch schweigend zu einer Stelle mitten im Wald, an der ich vor zwei Wochen vier armdicke Stämme gesägt habe. Jetzt ist das Schweigegelübte gebrochen und Maik klärt sein strenges Verhalten als Gruppenführer auf, welches auch ein Inhalt der Übung ist.
Nun steht ein simulierter Verletztentransport an, für den wir mit den Baumstämmen eine Trage bauen. Zu sechst wird jeder einmal eine Weile getragen bis wir den Hexenturm in Marienwerder erreichen. Es ist erstaunlich, wie schwer dieser Akt ist. Am Turm angelangt, zeigt uns unser Oberfeldwebel, wie wir mit vier Mann ohne Hilfsmittel ein 4 Meter hohes Hindernis bewältigen können. Das Staunen über diese Klettervariante ist den Teilnehmern deutlich anzusehen.
Noch ein Schluck Wasser dann geht’s auch schon wieder weiter durch selbiges. Ein Absperrband für einen überfluteten Weg stellt für mich geradezu eine willkommene Einladung für den Rückweg zum Dojo dar. Also kämpfen wir uns wieder durch knietiefes Wasser.
Nach dieser Strapaze ist das im Dojo von Siggi vorbereitete Frühstück ein riesen Genuss. Licht, Kaffeeduft, Musik aus dem Radio, alles gewöhnliche Dinge werden augenblicklich zu paradiesischen Empfindungen.
Frisch gestärkt, steht die 2. Einheit an. Diesmal geht es um das Thema Zivilcourage. Wir erarbeiten gemeinsam verschiedenste Situationen und spielen diese hinter dem Dojo durch. Bei diesem Training unterstützt mich nun auch Claudio, ebenfalls ein Freund aus der Bundeswehrzeit. Claudio, Schwarzgurt im Judo, ist nach einer durcharbeiteten Nacht als Türsteher einer Disco direkt zu uns gekommen, um mit uns seinen Erfahrungsschatz zu teilen. Trotz der ernsten Thematik haben wir alle auch eine Menge Spaß beim Üben.
Die Pause danach nutzen wir dazu, in einer Gruppenarbeit, weitere realistische Alltagssituationen zu analysieren. Siggi sorgt während dessen mit einem schön dekorierten und reich gedeckten Obstteller für das leibliche Wohl.
Nach dieser theoretischen Einheit folgt nun wieder eine körperliche Herausforderung, zu der wir uns Sportklamotten anziehen. Gemeinsam joggen wir, diesmal mit leichtem Gepäck zum Motoball-Platz. Die Aufgabe die uns jetzt erwartet, erfordert noch einmal eine Menge Überwindung. Einer nach dem anderen nehmen wir unseren Mut zusammen und steigen langsam mit einem Seil gesichert zwischen den dicken Eisschollen in den eisigen Kanal. Nur Maik trägt einen Neoprenanzug für den Fall dass seine Hilfe benötigt wird. Als erfolgreicher Absolvent der Kampfschwimmerausbildung gibt er uns noch einen Tipp zur richtigen Atemtechnik für den Eintauchmoment. Ich gehe zuerst ins Wasser und versuche meinen Körper unter Kontrolle zu halten, doch die Kälte scheint mir den Atem zu rauben. Vorsichtig reingehen, Luft anhalten und langsam bis zum Hals eintauchen. Jetzt ruhig atmen und einen Moment der schmerzenden Kälte trotzen. Ziel der Übung geschafft: Nicht das kalte Wasser lenkt meinen Geist sondern ich selbst! Keiner kneift und jeder findet sich im Wasser wieder. Die Gesichter sprechen Bände und lassen mich doch etwas zweifeln, ob jeder das Ziel der Übung geschafft hat. In diesem Fall ist zumindest ein anderes Ziel erreicht: die eigenen Grenzen finden und ggf. überschreiten.
Alle zusammen machen wir noch ein Siegerfoto und joggen danach gemeinsam zum Dojo zurück. Zum Abschluss serviert Siggi uns im Dojo eine ordentliche Portion Chili con Carne. Nach Kaffee und Kuchen gibt es für jeden noch sein wohlverdientes Lehrgangszertifikat, um uns dann voneinander zu verabschieden.
Ich danke Klaus, Thomas, Tutti, Torsten und Viktor für die Teilnahme an meinen ersten Lehrgang. Ich habe mir so einen langjährigen Traum erfüllt und kann mir sehr gut vorstellen, noch einmal einen Lehrgang der etwas anderen Art zu geben.
Außerdem danke ich für die Spenden, die zu 100% in ein Hilfsprojekt für die Opfer von Haiti fließen.
Anbei noch ein paar Auszüge aus dem Feedback der fünf Teilnehmer:
….Ob 2 Meter Zäune, „Riesen-Seen“, Müdigkeit oder unzählige Stacheldrahtzäune, nichts hielt uns auf.….
… Ich war so glücklich, den Kanal erreicht zu haben. Ich habe auf der Strecke definitiv meine persönliche Grenze erreicht und weit überschritten…
… Du gabst uns die Chance, die border line ein wenig zu verschieben und ein bisschen „größer“ zu werden.
Jan und Siggi! Für mich geht Ihr mit der Organisation und dem Durchführen des Sensibilisierungslehrgangs in die Annalen unseres Karate-Vereins. Ich bin sehr beeindruckt.…
…. Ich glaube keiner von uns hat seine nächste Umgebung von dieser Seite bisher gesehen und gespürt gehabt….
…Meine Meinung schwankte im Laufe des Weges von „ist doch bekloppt“ (ich wollte ja trockene Füße behalten) bis hin zu „was für eine geile Aktion“….
… Als Warmduscher hatte ich natürlich ein mehr als schlechtes Gefühl bei dem Gedanken in den Kanal zu steigen, um so schöner war es, es geschafft zu haben und dabei gewesen zu sein und dass wir noch Eis auf dem Kanal hatten, macht aus uns ja fast schon Helden. …
… Nachdem ich aus Neugierde zugesagt und mich eigentlich auch richtig darauf
gefreut hatte, kamen bei mir kurz vorher ein paar kleine Zweifel auf:
- man ist das früh,
- schaffe ich das leistungsmäßig überhaupt,
- Hauptsache der Kanal ist noch zugefroren …(…)… Das ganze hat bei mir mal wieder etwas wach gerüttelt.…
… Zusammenfassend kann ich sagen, dass dieser Lehrgang für unseren Verein bisher einzigartig war. Einzigartig von den Inhalten, über die Organisation bis hin zu den Rahmenbedingungen!...
… Ich wurde hierbei in zweierlei Hinsicht sensibilisiert: Handle schnell und konsequent und wie nah doch diese Situationen sind und wie diese lähmen können. Bleibe immer wachsam….
… Ich fand den Lehrgang sehr sehr gelungen und er hat mich in vielen oben beschrieben Bereichen sensibilisiert und zum Nachdenken angeregt…
Möchtest Du auch Deine Grenzen erfahren? Dann teil mir Dein Interesse mit! Vielleicht bist Du ja beim nächsten Lehrgang dabei. Doch Vorsicht: das wird kein Zuckerschlecken!
Liebe Grüße,
Jan Torborg (4.Dan)